„Menschen, die einander helfen - dafür muss man nicht religiös sein!“

von Ricarda Goly und Annika Zuske

Am Dienstag, den 19. Februar 2024, nimmt unser damaliger Religionskurs des 13ten Jahrgangs mit Frau Wrede an einer Sozialen Stadtführung teil. Es soll darum gehen, Hildesheim aus der Sicht obdachloser Menschen kennenzulernen und damit aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Streetworker und Sozialarbeiter Herr Engelbert von der Vinzenzpforte zeigt uns Schülern, wo und wie sich Hilfsbedürftige in Hildesheim orientieren können.

Die Tour startet am Ottoplatz, einem beliebten Treffpunkt. Dort hängen Plakate, die auf wiederholt vorkommende Gewalt gegen Menschen ohne Wohnung aufmerksam machen. Herr Engelbert erläutert: Obdachlosigkeit bedeute nicht einfach nur wohnungslos zu sein, sondern auch keine Anlaufstelle zu haben, sodass man wirklich im Freien schlafen oder eine Notschlafstelle aufsuchen müsse. Gründe für Obdachlosigkeit gebe es viele, die Problematik sei facettenreich. Das häufige Vorurteil, Obdachlosigkeit treffe nur sozial schwache oder drogenabhängige Menschen, entspreche bei weitem nicht der Realität.

Der erste Anlaufpunkt liegt hinter der Hildesheimer Kulturfabrik. Dort befindet sich die städtische Notschlafstelle, in der Obdachlose für kurze Zeit unterkommen können. Doch eine angenehme Lösung sei dies für Bedürftige nicht, weil es dort nur Mehrbettzimmer, wenig Platz und kaum Privatsphäre gebe. Das Aufeinanderprallen unterschiedlichster Lebensrhythmen, Weltansichten, psychischer Erkrankungen und Emotionen sei nicht zu vermeiden und das Konfliktpotential dadurch groß. Obdachlose würden der Notschlafstelle eher verwilderte Parks wie den Marienfriedhof “zum Platte machen”(übernachten) vorziehen.

Dann geht es zum Hauptbahnhof. Wir hören von unrechtmäßiger Gewalt und Vorurteilen durch Sicherheitspersonal gegenüber Obdachlosen, aber auch von der Bahnhofsmission als Hilfsanlaufstelle. Auch Tipps, wie man als reisender Obdachloser herumkommt, werden genannt. Am Angoulemeplatz lernen wir, dass Pfandflaschen und -dosen nicht in, sondern neben den Mülleimer gehören, viele haben dafür eigens vorgesehene Flaschenhalter am unteren Teil; denn Pfand zu sammeln, ist für viele Obdachlose eine kleine Verdienstmöglichkeit.

In der Hannoverschen Straße befinden sich die drei großen Anlaufstellen für Bedürftige: Der Tagestreff Lobby, das Sozialbüro Hildesheim und die Ambulante Wohnungslosenhilfe, die unter anderem Platz für bis zu 300 Postadressen bietet und Konten verwaltet. In der Lobby gibt es Küchen und Waschräume, sowie Duschen.

Weiter geht es zur Andreaskirche. Hier gibt es die Lebensmittelrettung Fairteiler, einen öffentlich zugänglichen Kühlschrank, zu dem Lebensmittel gebracht und kostenlos mitgenommen werden können; ein weiteres Hilfsangebot, auf das nicht verzichtet werden kann.

Die Führung endet in der Vinzenzpforte, die wochentags von 9 bis 14 Uhr geöffnet hat und deren Träger die katholischen Vinzentinerinnen sind. Bei Tee, Saft und Keksen tauscht sich der Kurs weiter angeregt über die Thematik aus.

In der Vinzenzpforte haben Hilfsbedürftige die Möglichkeit morgens zu frühstücken, zu duschen und für 50 Cent mittags eine warme Mahlzeit zu erhalten. Viele kommen darüber hinaus, weil sie das persönliche Gespräch suchen, konkrete Fragen zu wichtigen Belangen haben (Behördengänge, Hilfe bei Drogensucht usw.) oder ihrer Einsamkeit für einige Zeit entkommen wollen. Es gibt auch eine Möglichkeit zur Gesundheitsversorgung: Das Maltesermobil kommt bei Bedarf vorbei und behandelt die Besucher kostenfrei.

Auf Hilfsorganisationen wie diese sind immer mehr Menschen angewiesen, sie werden nicht nur von der Stadt, sondern eben auch von Sponsoren und Spenden Einzelner am Leben erhalten. Trotz dieser scheinbar vielfältigen Hilfs- und Unterstützungsprogramme haben Obdachlose bzw. Bedürftige es alles andere als leicht. Solche Anlaufstellen sind nicht die Lösung für Armut und Obdachlosigkeit, vielmehr ein kleines Pflaster auf einer großen Wunde, um deren Heilung man sich auch weiter engagiert kümmern muss.

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